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Ihr nicht!

Rund 1500 Menschen hatten sich am Ostersonnabend auf dem Oranienplatz versammelt, um am traditionellen Ostermarsch teilzunehmen. Zeitgleich gab es am August-Bebel-Platz eine konkurrierende Veranstaltung, zu der eine Allianz ukrainischer Organisationen aufgerufen hatte. Politiker und Medien warfen den Kreuzberger Marschierern vor, das „Selbstverteidigungsrecht“ der Ukraine mit keinem Wort zu erwähnen. Graf Lambsdorf von der FDP diffamierte in einem ZEIT-Artikel die Friedensbewegten als „fünfte Kolonne“ Putins.

Habeck (Grüne) verlangte von ihnen, es müsse deutlich werden, „dass sie sich gegen Putins Krieg richten“. Seine Kernaussage „Pazifismus ist im Moment ein ferner Traum“ verdeutlicht die 180-Grad-Wende, die die Grünen im Vergleich zu ihren Anfängen inzwischen vollzogen haben.

Noch im September 2021 war auf einem Wahlplakat dieser Partei zu lesen: „Keine Rüstungsgüter in Krisengebiete.“ Im Grundsatzprogramm von 1980 heißt es: „’Frieden und Abrüstung‘ muß deshalb zum Leitsatz der deutschen Außenpolitik und Strategie werden.“ „Der Ausbau einer am Leitwert Frieden ausgerichteten Zivilmacht muß mit der sofort beginnenden Auflösung der Militärblöcke, vor allem der NATO und des Warschauer Paktes einhergehen. Damit wird die Grundlage geschaffen, um die Teilung Europas und damit auch die deutsche Spaltung zu überwinden.“ Nun, der „Warschauer Pakt“ ist zerfallen. Geblieben ist die NATO und kein Grüner setzt sich heute noch für deren Auflösung ein.

Pikant ist, dass rbb24 den Ostermarschierern unterstellt, sie knüpften „an die Traditionen des Kalten Krieges an“, während die alternative Variante „das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine“ bekräftige.1 Meine Herren Journalisten: Das Einfordern des Selbstverteidigungsrechts der von Oligarchen und Faschisten beherrschten gelb-blauen Republik ist Kalter Krieg! Ein kalter Krieg wie er seit Jahrzehnten gegen die Russische Föderation in Schwung gebracht wurde, und der mit der Eskalation und dem Kippen in einen „heißen“ Konflikt einen ersten traurigen Höhepunkt erreicht hat.

Die Reden auf dem Oranienplatz waren erfreulich differenziert und entbehrten des üblichen Putin-Bashings. Von der Mitverantwortung der NATO war da die Rede, von den Dark Eagle Abschussrampen und den in Deutschland lagernden Atomwaffen, mit denen diese bestückt werden können. Ein Stopp der Waffenlieferungen wurde ebenso gefordert wie das Einfrieren der begonnenen Hochrüstung. Das Publikum überwiegend ältere Semester, übrig geblieben aus Zeiten, in denen man mit Hunderttausenden gegen Pershings und Cruise Missiles auf die Straße ging, erfolglos, wie wir heute wissen. Der posthum verheldete Kanzler und Sozialdemokrat Schmidt setzte den Doppelbeschluss gegen den Willen der Friedensbewegung und weiter Teile des Volkes durch.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, reihten sich die anwesenden Mitglieder derBasis, auch ein paar Pankower waren gekommen, und der Freien Linken ein. Als sich bei den überwiegend jungen Linkssektierern verschiedener Splittergruppen herumsprach, wer da mitlief, wurde schnell deutlich, dass man für den Frieden nur sein darf, wenn man sich gegenseitig mit Genoss:in anredet, brav Maske trägt und sich auf den „wahren“ Antifaschismus beruft. „Ihr nicht!“, wurde uns klar gemacht. DieBasis und die Freie Linke seien nicht erwünscht, hieß es über Mikrofon, schließlich handele es sich um eine antiimperialistische Aktion gegen einen imperialistischen Krieg. Man skandierte „Faschos raus!“ und dergleichen Verbalrüpeleien, die wir schon von den Montagsspaziergängen kennen. Ein paar junge Held:innen, die trotz Gesichtslappen als solche zu erkennen waren, sonderten mit leichter Drohgebärde die vermeintlich „rechten“ Kriegsgegner ab. Dass die Politiker, die jetzt Waffen in Krisengebiete schicken, was klar abzulehnen ist, die gleichen sind, die das Volk seit über zwei Jahren in den Schwitzkasten einer inszenierten Pandemie genommen haben, kommt diesen Verteidigern der reinen linken Lehre nicht in den Sinn.
Das also ist kognitive Dissonanz.

Anmerkung:

1 https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/04/ostermaersche-konkurrierende-berlin-brandenburg.html

(Scotti)

Fotos: ©scottiberlin