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Dialog heißt miteinander reden!


Die seit langem anhaltenden Versuche, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die sich skeptisch oder gar in Ablehnung zu den neuen demokratischen Bewegungen stellen, haben einen ersten kleinen Achtungserfolg erreicht. Zwar hatte in der Kundgebung direkt vorher die Sprecherin der Veranstaltung1 während des Interviews mit Marianne Birthler betont, man hätte den Dialog mit den „Querdenkern“ gesucht.

Aber nach Auskünften des Orga-Teams von „Wir sind Viele!“ darf man diese Aussage getrost im Reich der Phantasie verorten. Wiederholt gingen Einladungen an Protagonisten der „anderen Seite“, auch an Pfarrerin Allmut Bellmann, die stets abschlägig quittiert wurden. Dafür geben sich regelmäßig Berliner Politiker der zweiten und dritten Reihe nachmittags das Mikrofon in die Hand, zuletzt an diesem Montag Frau Marianne Birthler. Birthler, ehemals Bürgerbewegte der DDR, setzt sich inzwischen für Lieferungen schwerer Waffen in Krisengebiete ein. Sie sei ärgerlich auf den Kanzler, der sich der Problematik nur zögerlich stellt. Die andere Sichtweise vieler Ostdeutscher auf die Krise, auf Putin, auf Russland liege daran, wer Jahrzehnte lang in einer Diktatur gelebt hätte, sei verbogen und verkorkst in seinen Ansichten. Sie sähe Krieg als notwendiges Übel zur Verhinderung von Opfern von Diktatur und Menschenrechtsverletzungen. Dafür brauche es keine „Querdenker“.

Eine Stunde später stellte sich der in Antifakreisen als „Schnappi“ bekannte Benjamin Richter dem Publikum der Veranstaltung „Wir sind viele!“ vor der Berliner Gethsemanekirche.

Richter ist amtierender Schatzmeister der Bergpartei, die nach eigenem Verständnis einsteht für die „erhaltung bedrohter und schaffung neuer freiräume, wo kreativität und gemeinschaft ohne kommerziellen druck ausgelebt werden können.“2 Die Geschäftsadresse, sicher ein Zufall, ist dieselbe, wie die des Demokratischen Widerstands. Zudem ist er Mitinitiator der „Antiverschurbelten Aktion“, die sich insbesondere auf Facebook und in diversen Telegram-Kanälen ihrem als „Schwurbler“ ausgemachten Gegner entgegenstellt, also all jenen Menschen, die sich in den letzten zweieinhalb Jahren kritisch gegenüber der Coronapolitik der Regierigen positionierten.

Benjamin Richter, der sich mit Benni anreden ließ, erschien ohne Kostüm. Auf die Maske in knallgelb konnte er offenbar nicht verzichten, auch wenn er sie bei längeren Wortbeiträgen unters Kinn schob. Er betonte mehrfach, ausschließlich als Privatperson zu sprechen. Auf einen Dialog mit dem Vorstandssprecher des BV Pankow der Basisdemokratischen Partei Dr. Dieter Bonitz wollte er sich nicht einlassen.

Benjamin „Schnappi“ Richter
Dr. Dieter Bonitz

Zunächst machte er einige Konzessionen an das Publikum, dass es partielle Übereinstimmungen in Bezug auf manche Bereiche des gesellschaftlichen Leben gäbe, für die er prompt Beifall vom Auditorium erntete. Darauf wies er auf „philosophische“ Unterschiede zwischen den Bewegungen hin. Er behauptete, dass die Leute, die vor über 30 Jahren „Wir sind das Volk!“ skandierten, damit etwas anderes gemeint hätten, als die Anwesenden. Es sei jetzt ein Ansatz, der auf völkischer Rhetorik beruhe. Dass von „denen“ viele schon damals auf der Straße waren und sich für Freiheit, Grundrechte und eine menschenwürdige Gesellschaft einsetzten, ist dem Antischwurbler, der nach eigenen Angaben zur „Wendezeit“ sechs Jahre alt war, nicht bewusst. Er sprach den Anwesenden jegliche Selbstreflektion ab, die er sich und den Seinen freilich zubilligte. Die anderen könnten auf Telegram und anderen Kanälen jeden „Bullshit“ verbreiten, er ziehe sich das manchmal rein. Die Rechten stünden für eine negative Freiheit gegen die Angriffe des Staates, gegen die Wirtschaft, das hätte sogar etwas Neoliberales. Ziel dieser Bewegung sei das, „was Trump in Amerika gemacht hat“ oder was in Polen passiere „Da werden Minderheiten mit Füßen getreten, das könnt Ihr nicht ernst meinen!“ Richter steigerte sich dann zu den Vorwürfen von Verschwörungstheorien und Vernichtungsphatasien. „Ihr seid die Leute, die ihren Kindern ins Gesicht schießen, das ist wirklich eine gefährliche Bewegung, die Ihr hier macht!… Euer revolutionäres Subjekt ist völkisch, Kritik ist nicht Selbstkritik, Eure Freiheit ist leer und Euer Ziel ist eine Katastrophe. Ihr seid keine Linken.“

Wie es um des Verbreiten von „Bullshit“ im Internet bestellt ist, konnte man kurz nach Veröffentlichung der Rede auf der Facebook-Seite der „Antiverschwurbelten Aktion“ so lesen: „Den Michael Bündel, der sich für Captain Future hält, sollte man als bald um die Ecke bringen“, schrieb ein Shein Welt. Der Kommentar wurde kurze Zeit später gelöscht, liegt dem Autor allerdings als Screenshot vor und sei an dieser Stelle gezeigt.

Für weitere Gespräche stand Richter nicht zur Verfügung. Seine „Erkenntnisse“ führte er einzig auf Äußerungen zurück, die er auf diversen Telgram-Kanälen gelesen hätte. Dr. Bonitz beantwortete dennoch die haltlosen Vorwürfe und Unterstellungen. Als ehemaliger ASTA-Sprecher und ehemaliges Mitglied des Sozialistischen Studentenbundes sei er in seinem Selbstverständnis sehr wohl ein Linker, er sei sehr wohl reflektiert und gerade diese kritische Einstellung habe ihn vor dem Hintergrund seiner wissenschaftlichen Tätigkeit bei Beginn der sogenannten Corona-Krise zu der Erkenntnis gebracht, dass hier etwas nicht stimme. Die Auseinandersetzung mit der Thematik brachte den Wissenschaftler dazu, sich politisch in derBasis zu engagieren.

Das Publikum nahm „Schnappis“ Einlassungen überwiegend gelassen. Einzig der Vorwurf der völkischen Ideologie wurde mit Protestrufen und Gelächter quittiert. Die Disziplin des Auditoriums, den anderen ausreden zu lassen und ihm zuzuhören, beweist einmal mehr, dass wir das, was wir in beinahe täglichen Unterstellungen und Diffamierungen von Medien und Politikern zu hören bekommen, einfach nicht sind. Für den gesellschaftlichen Fortschritt braucht es Querdenker. Spartakus, Fra Dolcino, Luther, Münzer, Gallilei, Rousseau, Marx, Bakunin, Luxemburg, Trotzki, Gandhi, Dubček, Mandela…

Diese Erkenntnis sollte sich Frau Birthler hinter den Spiegel stecken!

Zeichen des Himmels? Regenbogen zum Ende der Kundgebung.

(Scotti)

Anmerkungen:

1 Nachbarschaftsdialog

2 https://www.bundeswahlleiter.de/dam/jcr/cd0291eb-794b-4067-99cc-935ca9446a64/b.pdf

Fotos: ©scottiberlin