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Schluss mit Stigmatisierung und übler Nachrede!

Nicht mit uns!

Seit vielen Wochen finden vor der Gethsemanekirche in der Stargarder Straße Kundgebungen statt. Veranstalter ist die Initiative „Wir sind Viele!“, die unter anderem von derBasis Pankow unterstützt wird. Und ebenso konstant postieren sich auf der anderen Straßenseite vermummte Vertreter der sogenannten „Antifa“ und der „Omas gegen rechts“, stören die Veranstaltung der friedlich Demonstrierenden mit lautem Geschrei und schriller, sich überschreiender Tonkonserve.

Auffallend seit einiger Zeit sind gelbe Plakate, die verlautbaren: „Wir schweigen nicht zu Eurem Antisemitismus.“ Auf einem selbst gemalten Schild war zu lesen: „Unser Gethsemane-Kiez… hat keinen Bock auf antisemitische Verschwörungsmythen.“

Es wäre nachzufragen, mit welcher Begründung die Aktivisten mit den schwarz-weiß-roten Bannern, Farben, die die geschmähten Kaiserlichen wie die Hitleristen der 20er und 30er Jahre gleichermaßen verwendeten, sich mittels Possesivpronomen einen Besitzanspruch anmaßen.

War der Bezirk in den 70er Jahren Heimat der sozial Schwachen, begann bereits vor dem Ende der DDR eine strukturelle Veränderung. Vor allem junge Leute, die nicht zuletzt einer Boheme mit Underground-Charakter zuzurechnen waren, belegten frei gewordene Wohnungen, die zum Teil in erbärmlichem Zustand und für Familien nicht mehr zumutbar waren.1 Der forcierte Wohnungsbau in den Berliner Randgebieten Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf seit dem Beginn der 70er Jahre sorgte überdies dafür, dass junge Familien mit modernem Wohnraum versorgt werden konnten.2

Nach dem Anschluss der DDR wurden die kommunalen Wohnungsverwaltungen abgewickelt, Alteigentümer aus dem Bundesgebiet meldeten Ansprüche an, nun brachliegende Bausubstanz wurde an überwiegend westliche Investoren verschleudert. Die Sanierung ab Mitte der 90er Jahre und die Anpassung an „westliche“ Standards sorgte für eine neudeutsch „Gentrifizierung“ genannte Vertreibung der Ortsansässigen. 2008 lebten nur noch 25 Prozent der Bewohner aus Vorwendezeiten in den inzwischen attraktiven und entsprechend teuren Kiezen. 3 Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen der Anwohner, die zum Teil der Hausbesetzerszene zuzurechnen waren und die auf „schickimicki“ infolge der geplanten Modernisierungen keine Lust hatten.4 „Im Zusammenhang mit diesen sozialen Invasions- und Sukzessionsprozessen erfolgte in den zurückliegenden Jahren eine Umgestaltung des Gebietes Prenzlauer Berg auf funktionaler Ebene. Es siedelten sich Einzelhandelsgeschäfte mit gehobenen Preisniveaus (u.a. Boutiquen für Schmuck, Kunst, Feinkostspezialitäten) sowie Firmen aus den Bereichen Medienwirtschaft und Werbung an. Dadurch wurde der Zuzug wohlhabender Bevölkerungsteile noch verstärkt und die Infrastruktur erfuhr weitere Veränderungen.“5 „Aus dem ehemaligen Szenekiez wurde eine beliebte Wohngegend für gutsituierte Akademikerfamilien“, heißt es werbewirksam bei einem Immobilienanbieter.6


Seit Beginn der „Pandemie“ regte sich Widerstand gegen die Maßnahmen der Regierigen. Was mit einem Häuflein beherzter Bürger am 28. März 2020 auf dem Rosa-Luxemburg-Platz begann, schwoll schon bald zu einer breiten Volksbewegung an und erzeugte im August des Jahres auf den Massendemonstrationen in Berlin ermutigende Bilder. Dass sich die Staatsmacht das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen wollte, bewies sie wiederholt durch Außerkraftsetzung des Art. 8 GG 7 unter Zuhilfenahme prügelnder Polizisten. Ein trauriger Höhepunkt war der Einsatz von Wasserwerfern vor dem Brandenburger Tor am 18. November 2020, die bei +4°C friedliche Demonstranten mit einer ätzenden Lösung aus Wasser und Tränengas „beregneten“ – alles zum Schutz der Gesundheit.

Parallel gab es von Anfang an Gegenwind seitens der Medien, ganz gleich, ob sie öffentlich-rechtlich oder privat finanziert aufgestellt sind. Schnell wurde ein Framing gestrickt, dass die Bürgerinnen und Bürger aus der Mitte der Gesellschaft in die rechte Ecke drängen sollte. Begriffe, wie „Schwurbler“, „Covidioten“ (Eskien), „rechte Esotheriker“ und immer wieder der in den Sechzigern von der CIA in Umlauf gebrachte Terminus „Veschwörungstheoretiker“ machten die Runde. Zeitgleich, von linken Plattformen ausgehend, gesellte sich der Vorwurf des Antisemitismus hinzu: „Als Berliner Bündnis gegen Rechts haben wir bereits am 23. April darauf hingewiesen, dass sich auch Personen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz versammeln, die Verschwörungsideologien verbreiten, antisemitische Mythen und Vorurteile propagieren, die Verbrechen des deutschen Faschismus mit absurden Vergleichen verharmlosen und somit die Opfer der Shoa verunglimpfen“, ist in einer Pressemitteilung zu lesen. 8

Der biologistisch ausgeprägte Rassenantisemitismus, der sich zunächst vornehmlich in Österreich ab dem Gründerkrach der 1870er Jahre entwickelte und erst mit den Nazis in Deutschland seine verheerende Ausbreitung finden sollte, war nach dem Ende des 2. Weltkrieges und dem Bekanntwerden des ganzen Umfanges der Nazi-Greuel in der öffentlichen Meinung erledigt. Dass in der Bundesrepublik eine ganze Reihe schwer belastete Beamte, Funktionäre und nicht zuletzt Künstler des NS-Regimes wieder in Amt in Würden kamen, von denen die Fälle Globke, Gehlen aber auch Heinz Rühmann und andere sicher nur die Spitze des Eisberges bildeten, zeigt einerseits den halbherzigen Ansatz der Entnazifizierung im westlichen Teil Deutschlands. Zum Anderen ist es genau dieser Ansatz, der mitverantwortlich für die latente Judenfeindschaft mit ihren stereotypen Ressentiments beim Bürgertum und Kleinbürgertum sein dürfte.

Bis heute spielt der Antisemitismus weltweit eine Rolle in der politischen Diskussion. An einer zeitgemäßen Definition versuchte sich 2016 die IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance)9, die von den meisten Regierungen der „westlichen Wertegemeinschaft“ angenommen wurde. Die „Arbeitsdefinition“ krankte schon daran, dass die letzten sechs von elf Punkten den Staat Israel in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken, was es Kritikern der Apartheid-Politik dieser Atommacht erschwert, sich für die berechtigten Interessen und Ansprüche der Palästinenser einzusetzen. Im Jahre 2020 wurde von über 200 Wissenschaftlern aus aller Welt die „Jerusamer Erklärung“ 10 unterzeichnet. Die Initiatoren, zu denen unter anderem Moshe Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv, gehört, bemühten sich nach eigener Aussage um die Verbesserung der „Arbeitsdefinition“ der IHRA. In den der Deklaration folgenden Leitlinien geben die Autoren Beispiele, die eindeutig antisemitisch und solche, die es per se eben nicht seien. Die Jerusalemer Erklärung erzeugte im Blätterwald der Gazetten ein gewaltiges Rauschen, dass von krasser Ablehnung (Die Welt11), verhaltenem Betonen der Linksausrichtung (Neues Deutschland) bis zur jubelnden Zustimmung (taz) reichte. Welcher der beiden Definitionen der Vorzug zu geben ist, oder ob etwa eine gesunde Mischung von beidem zielführend sein könnte, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.

Tatsache ist, dass beide Herangehensweisen dem Beobachter aktueller gesellschaftlicher Prozesse Werkzeuge in die Hand geben, mit denen sich Aussagen, Dokumente, Schriftstücke, Proklamationen, Parteiprogramme, Bücher, kurz: jede Art von Veröffentlichung auf mögliche antisemitische Ressentiments abklopfen lassen.

Dennoch werden die im Zuge der Corona-Krise entstandenen oppositionellen Bewegungen immer wieder des Antisemitismus‘ bezichtigt, meist ohne Nachweis, welche Anhaltspunkte den Vorwurf rechtfertigen. So schreibt Michael Blume, Religionswissenschaftler, in DIE ZEIT (online): „In der Corona-Pandemie vermischen prominente Figuren der Protestbewegung die Leugnung und Verharmlosung der Pandemie mit kruden, teils antisemitisch aufgeladenen (Hervorhebung von mir) Verschwörungslügen rings um die Finanzwirtschaft sowie eigenen Geschäftsmodellen und Profitinteressen.“12 Der Autor ernennt Thomas Laschyk von den „Volksverpetzern“ zum Sekundanten seiner Behauptung.

Schützenhilfe bekommen die Leitmedien von Angehörigen der politikwissenschaftlichen Oberschicht, die sich öffentlich theoretisierend über eine Hufeneisentheorie den Kopf zerbrechen, wonach eine sogenannte „Identitätslinke“ sich mit Rechtspopulisten die Hände reiche. So fabuliert Armin Pfahl-Traughber, Professor für Politikwissenschaft und Soziologie in der ZEIT: „…wenn sich Identitätslinke an Kollektiven und nicht an Menschenrechten orientieren, fallen sie hinter die Entwicklung der Moderne zurück. In dieser Hinsicht bestehen formale Gemeinsamkeiten von Identitätslinken und Identitätsrechten. Was Antiuniversalismus und Menschenrechtsrelativismus angeht, sind sie sich trotz unterschiedlicher ideologischer Vorzeichen leider einig.“13

Von Beginn an, seit März 2020, wurden die Kritiker der Corona-Verordnungen und des Infektionsschutzgesetzes als „Corona-Leugner“ bezeichnet, ein Terminus, der sich ein wenig nach „Holocaustleugner“ anfühlt und es wohl auch soll.

So entwickelte die Antonio-Amadeu-Stiftung auf der Plattform „Tacheles“ das Theorem vom „strukturellen Antisemitismus“. Da es sich bei den „Corona-Leugnern“ nur um „Verschwörungsmythologen“ handeln könne, befänden diese sich in nächster Gesellschaft zum Antisemitismus, der „das Betriebssystem der Verschwörungsmythen“ sei, so Anetta Kahane, Vorsitzende der Stiftung.14 Denn es braucht für die Entfaltung des Antisemitismus eben keine Juden. Gleicht man derlei Aussagen mit den beiden oben genannten Antisemitismus-Definitionen ab, bleiben einem nur Kopfschütteln und Schulterzucken.

Wem nutzt es?

Die Herrschenden des Mittelalters und der frühen Neuzeit nutzten die religiösen Ressentiments gegen jüdische Volksschichten für ihre eigenen machtpolitischen Winkelzüge. Wie so etwas funktionierte, hat Lion Feuchtwanger in seinem berühmten Roman „Jud Süss“ eindrucksvoll geschildert, in dem der um Assimilation bemühte Joseph Süß Oppenheimer als sogenannter Hofjude zu Macht und Einfluss kam, an den korrupten Verstrickungen der Mächtigen scheiterte und nach dem Verlust seiner Tochter nicht zuletzt wegen seines Festhaltens am Judentum zum Sündenbock gemacht und zum Tode verurteilt wurde. Erst im 20. Jahrhundert wurde der biologisch determierte Antisemitismus als Sonderform des Rassismus salonfähig und erreichte unter den Nazis seine abscheulichste Ausprägung, die Vernichtung der als „Juden“ klassifizierten Menschen Europas.

Eliten heute sind nicht antisemitisch. Statt dessen gebärden sie sich freiheitsliebend, demokratisch. Das Theorem des Antisemitismus hat längst die Funktion übernommen, die vor 1945 die Judenfeindschaft gegenüber linken emanzipatorischen Bewegungen besetzte („jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung“). Andersdenkende und politische Minderheiten werden wie eh und je diffamiert und nun in Verbindung mit – zugegeben unappetitlichem – rechtspopulistischem Gedankengut gebracht.

Aufrechte Bürger vor der Gethsemane-Kirche. Wir sind Viele!

Wer wiederholt und anhaltend aufrechte Bürger mit ihren berechtigten Forderungen nach Frieden, Freiheit, Demokratie, Wiederherstellung der Grundrechte, dem Recht auf Selbstbestimmung und der Einhaltung der verbindlich verbrieften Menschenrechte als Antisemiten stigmatisiert, verharmlost die entsetzlichen Verbrechen der Hitlerfaschisten gegenüber dem jüdischen Volk, der verhöhnt die unendlichen Leiden der Ghetto-Bewohner von Łódź und Warschau, der relativiert den millionenfachen industriellen Massenmord in Treblinka, Sobibor und Auschwitz, der beleidigt die Opfer der Shoah!

Anmerkungen:

1 Aufschluss über den Zustand und das Lebensgefühl des Bezirks gibt Daniela Dahns Buch „Prenzlauer Berg-Tour“ von 1987

2 Der Autor verbrachte mit seinen Eltern seine ersten sechs Lebensjahre in einer Einraumwohnung in der Stargarder Str. 73, um hernach in einer 3-Zi-Neubau-Wohnung mit eigenem Kinderzimmer den Komfort modernen Wohnens genießen zu können.

3 https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/geographiedidaktik2/materialfuerschulen/berlin/berlin_gentrification_am_prenzlauer_berg_band_4_mit_material.pdf, S.6

4 Vgl. https://www.everestate.de/blog/helmholtzkiez-in-berlin

5 Ebenda S.7

6 https://www.everestate.de/blog/helmholtzkiez-in-berlin

7 Art. 8GG: (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. (2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

8 Siehe: https://berlingegenrechts.de/2020/05/14/pressemitteilung-verschwoerungsideologien-antisemitismus-und-neo-nazis-am-rosa-luxemburg-platz-14-05-2020/

9 https://www.holocaustremembrance.com/de/resources/working-definitions-charters/arbeitsdefinition-von-antisemitismus

10 https://diakblog.files.wordpress.com/2021/03/jda-deutsch_final.pdf

11 Vgl.: Posener, Alan, Was ist das, wenn nicht antisemitisch?, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article229340107/Jerusalemer-Erklaerung-Was-ist-das-wenn-nicht-antisemitisch.html, Klick am 19.04.2021: „Wo die IHRA bescheiden von einer Arbeitsdefinition redet, wird hier der Welt eine „Erklärung“ vorgesetzt, versehen mit Namen und Nimbus der Heiligen Stadt. Schade. So kann sie immerhin als Anschauungsmaterial dafür dienen, wie man am Thema vorbeischreibt.“

12 Blume, Michael, Die libertäre Verschwörungsmythologie des Geldes, https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-04/querdenken-verschwoerer-mythologie-bargeld-antisemitismus-michael-blume

13 Pfahl-Traughber, Armin, Gefährliche Nähe, in: DIE ZEIT Nr.12, 18.03.2021, S.47. Wen er konkret mit den von ihm charakterisierten politischen Gruppen meint, auf welche Äußerungen oder gar Veröffentlichungen er sich bezieht, bleibt der Autor zumindest im vorliegenden Artikel seinen Lesern schuldig.

14 https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/tacheles-struktureller-antisemitismus-ist-antisemitismus-noch-ohne-juden-66257/

(Scotti)

Fotos: ©scottiberlin