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Frieden jetzt!

„Welche Angst sollen wir fühlen?“

Mit diesem Bertha-von-Suttner-Zitat beschrieb Gabriele Gysi in ihrer Rede bei der „Frieden Jetzt“ Demonstration am gestrigen Samstag in Berlin Mitte das Dilemma der Friedensbewegung, ja beinahe der vereinten Kritiker nicht nur der Kriegspolitik in Deutschland im Schlepptau der USA, sondern auch des Treibens einer globalen Politik eines schwabschen Great Reset. Das Suttner-Zitat ist über hundert Jahre alt und offenbar so aktuell wie eh und je. Über hundert Jahre nach Ende des Ersten und knapp achtzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hat das Herrschaftsinstrument Angst offenbar nichts an seiner Wirksamkeit verloren. Mache den Menschen Angst (vor einem Virus, vor Hunger, vor Krieg) und du kannst sie nach Belieben manipulieren.

Gabriele Gysi:
Welche Angst sollen wir fühlen?


Einige Tausend Demonstranten verschiedenster Berliner Friedensgruppierungen hatten sich am Samstag versammelt um durch die Stadt zu ziehen und ihrem Wunsch nach sofortigem Kriegsende in der Ukraine Ausdruck zu verleihen. Die Forderungen: Stopp der Waffenlieferung in die Ukraine, Rücktritt der Deutschen KriegsBundesregierung, Deutschland aus der Nato, erneute Friedensverhandlungen, Stopp der Russlandsanktionen, Schwerter zu Pflugscharen, um nur einige zu nennen. Als Aggressor wurden ein ums andere Mal die USA, internationale Wirtschaftsimperien, begleitet von monumentalen Vorstellungen einer riesigen, gesellschaftlichen Umstrukturierung im Sinne eines Klaus Schwab, genannt, die die Verantwortung für die gegenwärtige Situation trügen. Diether Dehm, Entertainer, die LINKE, Gabriele Gysi, Schauspielerin und Regisseurin, Karl Krökel, Vorsitzender der Kreishandwerkerschaft Dessau, Stef Manzini, Journalistin, Jens Fischer Rodrian, Musiker und Autor, trugen inhaltlich und musikalisch erneut mehr oder weniger bekannte Positionen zur gesellschaftspolitischen Lage unter besonderer Berücksichtigung des Krieges in der Ukraine vor.

Dieter Dehm
Friederike de Bruin
Stef Manzini
Karl Krökel

Das kann sicher nicht oft genug thematisiert werden und mag jene ins Bilde setzen, die noch nie von derartigen Positionen gehört haben, für die Putin der Böse und die USA die Guten sind. Aber wollen diejenigen wirklich von ihrer Position abweichen? Wollen sie sich die Argumente der Gegenseite anhören, die sagt, man müsse das ganze doch ein wenig differenzierter betrachten – wahrscheinlich nicht. Was einen Kritiker der Kriegs- und auch der Coronapolitik mit Impfungen und Masken oft genug zur Verzweiflung bringen kann, ist der offenbar unbeirrbare Glaube einer Mehrheit daran, dass die Regierung schon wisse, was sie tue, obwohl sämtliche Fakten dagegen sprechen. Im Gegenzug wird weiter an den Narrativen der rechten Verschwörungsideologen (Achtung: neuer Begriff geprägt von https://berlin-gegen-nazis.de) gebastelt. Von rechten Demonstranten war freilich auf der Demo durch Berlins Innenstadt nichts zu sehen.

Die Präsenz der sogenannten Antifa ließ auch zu wünschen übrig – einige wenige flankierten den Zug, zahlenmäßig den bannertragenden Omas und Opas für den Frieden von der Partei dieBasis-Pankow unterlegen. Es kommen Gerüchte auf, dass es der Antifa kaum gelingen wird im Jahre 2023 eine wöchentliche Montagsdemonstration vor der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg zu organisieren. Aber das nur am Rande.

Jens Fischer-Rodrian

Eine friedlichere und bestens aufgelegte Demonstration bei herrlichstem Sonnenschein konnte man sich an diesem Tag kaum vorstellen. Beinahe schien es, als ob göttliche Fügung mitgespielt hätte. Beim gemeinsamen Singen und musizieren überzeugten Jens Fischer Rodrian mit einem Lied für seine Tochter und die Kinder überhaupt, denen die letzten zweieinhalb Jahre wohl am meisten zugesetzt hätten.

Diether Dehm brachte mit der Weltpremiere des Titels „Amigo, Amigo, Ami go home“ die verbliebenen Teilnehmer der Abschlusskundgebung zum Mitsingen. Besondere Erwähnung sollte Friederike de Bruins ausgesprochen persönliche Rede finden. Sie erzählte – oft den Tränen nahe – von den Erlebnissen ihres damals siebzehnjährigen Vaters gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, der noch als Soldat eingezogen worden war und mit ansehen musste, wie seine Kameraden – in einen Hinterhalt gelockt – allesamt starben. De Bruin beschrieb damit das, was uns allen noch anheftet: die Traumata in den Familien, die fest im System verankert geblieben sind und das Modell von Tätern und Opfern manifestieren. Durch ihren Bericht über die Erlebnisse und die Traumatisierung innerhalb ihrer Familie hat sie das getan, was unser aller Aufgabe wäre: die Augen wieder zu öffnen, anzuschauen, was war an Gewalt, Schmerz, Verletzungen und Unterdrückung in den Familien, um Frieden zu schließen zwischen Tätern und Opfern, um endlich aus der ewig erscheinenden Spirale von Krieg und Gewalt auszusteigen. Es ist Aufgabe eines jeden Einzelnen, die eigene Lebensgeschichte aufzuarbeiten – nur so ist wieder Frieden möglich. Nur so kann die Beteiligung am Töten beendet werden.

(Lars-Ulrich Schlotthaus)

Fotos: ©L.U.Schlotthaus