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Gefährliche Symbolpolitik?

Die Neufassung des § 130 Absatz 5 Strafgesetzbuch (StGB) „Volksverhetzung“

Die Änderung des § 130 Abs. 5 StGB wurde am späten Abend des 20.10.2022 vom Bundestag ohne Diskussion in einem sogenannten „Omnibusverfahren“ verabschiedet. Die Abstimmung erfolgte in einem Gesamtpaket quasi „versteckt“ als Anhang zu einer Änderung des umfangreichen Bundeszentralregistergesetzes. Ob den Abgeordneten überhaupt klar war, was da nebenbei mit abgenickt werden sollte? Das „Omnibusverfahren“ ist allerdings nach geltendem Recht nicht unzulässig, aber in jedem Fall problematisch, weil die Abgeordneten dem „Gesamtpaket“ entweder nur insgesamt zustimmen oder es komplett ablehnen können.

Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurde nach § 130 StGB die „Aufreizung zum Klassenkampf“ mit Strafe bedroht, womit das „friedliche Zusammenleben im Staat“ geschützt werden sollte. In den 90er Jahren wollte man sich mit § 130 StGB gegen die zunehmenden Rechtsradikalen mit einem zugefügten Absatz 4 wappnen, wonach strafbar ist, wer „die nazionalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“.

Nun soll auch bestraft werden können (Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe), wer Kriegsverbrechen öffentlich oder in einer Versammlung „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost, die geeignet ist, zu Hass oder Gewalt aufzustacheln und den öffentlichen Frieden zu stören“.

Der jetzt abgesegnete neu gefasste Absatz 5 wird damit gerechtfertigt, dass Deutschland den EU-Rahmenbeschluss aus November 2008 hinsichtlich der „Ahndung des Leugnens oder gröblichen Verharmlosung von Völkermord, Verbrechen gegen dien Menschlichkeit und Kriegsverbrechen“ nur unzureichend umgesetzt habe, deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt wurde und es sich bei der Änderung nur um eine „Klarstellung“ handeln würde, weil die nunmehr aufgenommenen Straftatbestände eigentlich schon von der bis 2022 geltenden Gesetzeslage erfasst waren.

Die Problematik der Ergänzung der Straftatbestände in § 130 besteht in einer Reihe von unbestimmten Rechtsbegriffen. Was bedeutet eigentlich

  • „Öffentliches Billigen“: Wie ist das von einer legitimen Meinungsäußerung abzugrenzen?
  • „Leugnen“: Reicht schon etwas einfach nicht glauben zu wollen?
  • „gröbliches Verharmlosen“: Wo ist die Grenze zur „einfachen“ Verharmlosung?
  • Wann ist der „öffentliche Frieden“ gestört?
  • „Völkermord“: Wer soll bestimmen, für welche geschichtlichen Ereignisse das gelten soll?
  • „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“: Wer soll berechtigt sein, das zu definieren?
  • „Kriegsverbrechen“: Wer soll da die Grenze zu „erlaubter“ Kriegsführung bestimmen?

Die Gesetzesbegründung verweist darauf, dass eine Strafbarkeit nur bei bei einem „zweifelsfrei“ festgestellten Kriegsverbrechen, Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Betracht kommt. Wer will das „zweifelsfrei“ feststellen?

Voraussetzung für eine Strafbarkeit wäre des Weiteren der Nachweis eines vorsätzlichen Handelns, eigentlich wohl nur bei Fanatikern denkbar.

Ein Strafverfahren nach § 130 StGB setzt zunächst eine Anzeige voraus, der Polizei (z.B. anlässlich einer Kundgebung), der Staatsanwaltschaft oder von sich betroffen fühlenden Bürgern (Hallo Denunziant!).

Ob die Voraussetzungen für eine strafbare Handlung gegeben sind, haben die Richter am Amtsgericht zu prüfen, sofern die Anklage zugelassen wird, und nach bestem Wissen und Gewissen zu entscheiden. Nach welchen Kriterien ein Völkermord, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach der Überzeugung des Gerichts festgestellt werden sollen, lässt das Gesetz offen (laut ARD, ZDF und Co.?).

Selbst wenn wegen nicht konkret bestimmter Voraussetzungen eine Strafbarkeit nicht festgestellt werden kann, bleibt doch die Möglichkeit unliebsame Menschen erst einmal mit einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu überziehen, was in jedem Fall mit persönlichen und wirtschaftlichen Belastungen (z.B. Anwaltskosten) verbunden ist (siehe aktuell das Verfahren gegen Sucharit Bhakdi).

Unbestimmte Strafgesetze lassen Raum für staatliche Willkür. Die Absicht des Gesetzes liegt wohl in der Verunsicherung („was kann ich eigentlich noch bei welcher Gelegenheit straffrei sagen?“) und der Abschreckungswirkung („ich möchte es lieber nicht auf ein Strafverfahren ankommen lassen“). Man könnte annehmen, dass es die Absicht der Herrschenden ist, die Bürger von freien öffentlichen Meinungsäußerungen und Protesten abzuhalten (natürlich nur eine Verschwörungstheorie!).

Ein weiterer problematischer Aspekt ist, dass nach § 3 Artikel-10-Gesetz (Gesetz zur Beschränkung des Brief- Post- und Fernmeldegeheimnisses) wegen des Verdachts auf Straftaten nach § 130 StGB, mithin auch nach dem neuen Absatz 5, im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen entsprechende Überwachungen und Abhörungen angeordnet werden können. Solche Maßnahmen lassen sich ja nicht wieder rückgängig machen, auch wenn es aus welchen Gründen auch immer nicht zu einer Verurteilung kommt.

Auch wenn das Gesetz in der Praxis vielleicht nur im Einzelfall zur Anwendung kommen wird, ist darin eine Beschränkung der nach Art. 5 GG eigentlich garantierten Rechts auf freie öffentliche Meinungsäußerung zu sehen. Die derzeitige Verfassungsgerichtsbarkeit hätte damit aber wohl aus Gründen der Staatsraison überhaupt kein Problem.

(Markus Worbs, Rechtsanwalt)


Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – Art 5 

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

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Fotos: ©Scottiberlin