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Schauprozess in Göttingen

Tag 30 – Ein Erlebnisbericht

Ende August 2024 entschloss ich mich, beim Prozess gegen Dr. Reiner Fuellmilch einen Tag als Prozessbeobachter dabei zu sein. Mittwoch, der 11. September 2024 bot sich an und damit die Chance, einen ganzen Tag (nicht nur einen halben Freitag) Gerichtsluft zu schnuppern. Die Hoffnung auf eine vorherige Entlassung und damit das Entfallen dieser Fahrt nach Göttingen war zwar groß, aber eine Erfüllung meines Wunsches war in Anbetracht der bisherigen Prozessberichte unrealistisch. Immerhin hat man Reiner Fuellmich gerade erst einen menschenwürdigen Abschied von seiner sterbenden Mutter verweigert und man muss sich ernsthaft fragen, welche Verbrechen denn mein Held der Aufklärung begangen haben soll, dass man ihn auch heute noch mit Handschellen im Gerichtssaal vorführt, von zahlreichen jungen und gesunden Justizmitarbeitern begleitet und bewacht, bei deren Anblick ich darüber sinniere, welchen sinnstiftenden und wertvollen Beschäftigungen diese Menschen doch eigentlich nachgehen könnten.

Amtsgericht Göttingen

Dr. Reiner Fuellmich wird seit fast einem Jahr in einem Hochsicherheitsgefängnis bei Göttingen in Untersuchungshaft gehalten. Heute ist der 30. Verhandlungstag.

Wir fahren rechtzeitig um 4.29 Uhr von Berlin-Hauptbahnhof los und haben bereits in Berlin-Spandau zwanzig Minuten Verspätung. Trotzdem erreichen wir Göttingen noch lange vor Beginn der Verhandlung, deren Beginn auf 9.15 Uhr angesetzt ist. Es bleibt Zeit für ein Frühstück im Bahnhofscafé und wir treffen gegen acht Uhr vor dem fußläufig gelegenen Landgericht Göttingen ein. Vor uns sind bereits einige Menschen am Seiteneingang, der für die Besucher reserviert ist, versammelt. Manche Gesichter sind mir vertraut aus den Videos von Prozessbeobachtern und auch von der Feier zu Reiners 66. Geburtstag, die vor den Toren der JVA Rosdorf am 5. Mai 2024 abgehalten wurde und wo wir auch zugegen waren.

Der Einlass zum Gericht in Göttingen erfolgt einzeln mit Leibesvisitation und unter Entwendung des Rucksacks incl. Handy mit nachfolgender Aufbewahrung in einem offenen Regal am Eingang. Erlaubt zur Mitnahme in den Gerichtssaal sind ein Stift (der auf potentielle Kameras im Stile von James Bond 007 untersucht wird) und ein Zettel. Was mit den Taschen in unserer Zeit im Gerichtssaal passierte, kann ich leider nicht sagen. Rechtmäßig erscheint mir das Vorgehen jedenfalls nicht und mein Vertrauen in die Justiz tangiert gegen Null. Ich empfehle ich jedem Prozessbeobachter, sein Gepäck am Bahnhof einzuschließen und ohne Handtasche anzureisen.

Ab neun Uhr finden sich die Beteiligten am Prozess langsam ein, vorher wird der große Saal noch mal ordentlich gelüftet. In meinem Kopfkino male ich mir aus, wie die Sauerstoffanbeter zu finstersten C-Zeiten sicher auch hier für Dauerbelüftung bei -20°C gesorgt haben könnten.

Von der Zuschauertribüne (insgesamt 45 Plätze verteilt auf drei Reihen) ist der große Saal durch eine Panzerglasscheibe getrennt. Am Richtertisch sitzen der Vorsitzende Richter, zwei weitere Berufs-Richter und zwei Schöffen, von denen einer durch ein an Cindy aus Marzahn erinnerndes Outfit in Schlabberjogginghose auf sich aufmerksam macht (so sähe der immer aus, erzählt eine Prozessbeobachterin, die fast immer dabei ist). Am rechten Tischrand sitzt die Gerichtssekretärin, die heute wenig zu tun hat, aber dazu später. Auf der linken Seite sitzt die Verteidigung (vier Rechtsanwälte incl. RAin Katja Wörmer) und der Angeklagte oder wie ich es empfinde, das Justiz-Opfer, Dr. Reiner Fuellmich. Auf der rechten Seite sitzen zwei Vertreter der Staatsanwaltschaft. Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck, sagt man. Ich versuche die ganze Zeit zu formulieren, mit welchen Worten man diese zwei Jungchen beschreiben kann. ich fühle mich erinnert an Menschen, die Jahre nach ihrer Jugendweihe in die selben Anzüge gepresst wurden, denen aber entwachsen sind. Unwillkürlich suche ich nach einer anderen Bezeichnung als Staatsanwaltschaftskindergarten, aber mir fällt nichts Besseres ein. Ich werde aufgeklärt, dass der eine, Staatsanwalt John, anfangs den Prozess von Seiten der Staatsanwaltschaft sehr farblos geführt haben soll. Irgendwann habe man ihm einen weiteren Kollegen quasi als Terrier zur Seite gestellt. Heute hat der erste keinen Ton gesagt und seine Arbeit bestand darin, ausdruckslos und blass dazusitzen sowie gedankenabwesend am Handy und Laptop zu daddeln. Der andere Staatsanwalt machte verbal nur durch rüpelige Ansprachen auf sich aufmerksam und damit, dass er sich über die Verteidigung und den Angeklagten lustig machte. Nun ist es nicht etwa so, dass wir jetzt sechs oder gar acht Stunden harte Gerichtsarbeit erleben konnten, sondern wirklich nur ein Theater, von dem ich nicht glauben konnte, dass so etwas erlaubt sei. Grob geschätzt betrugen die verbalen Beiträge zwischen der Eröffnung gegen 9.30 Uhr und dem Ende um 14.45 Uhr incl. einer neunzigminütigen Mittagspause vielleicht 15 Minuten. Das sogenannte Selbstleseverfahren, zu dem sich die Kammer wiederholt teils für mehr als eine Stunde nach vorher vielleicht zwei Minuten Sprechzeit immer wieder zurückzog, dient nach meiner Ansicht nur dazu, die Prozessbeobachter zukünftig aus dem Gerichtssaal zu vertreiben. Auf diese Art und Weise kann niemand der Verhandlung sinnvoll folgen, wenn man nicht weiß, welche Papiere mit welchem Inhalt der Gegenseite jeweils zur Kenntnis gereicht werden. Und eigentlich scheint es sowieso egal zu sein, denn die inhaltlich nicht bekannten Anträge wurden sowieso allesamt vom Richter einfach ohne Erklärung abgelehnt. An Perversion nicht zu übertreffen war, dass der Richter einen handschriftlichen Antrag von Dr. Reiner Fuellmich wegen Unleserlichkeit zurückwies. Hierzu muss der nicht im Thema steckende Leser wissen, dass man Reiner seit einem Jahr die Nutzung von elektronischen Hilfsmitteln (Laptop) untersagt, eine Schreibmaschine steht ihm ebenfalls nicht zur Verfügung, nachdem man eine solche auf der Suche nach versteckten Dingen offensichtlich nicht mehr zusammenbauen konnte. Der Antrag musste hernach unter Vorlesen durch Reiner selbst von RAin Katja Wörmer am Laptop getippt werden. Das Versenden dieses Antrages per E-mail an den Richter oder die Gerichtssekretärin war nicht erfolgreich und nach einer Stunde wurde das Dokument auf eine CD gebrannt, wobei das portable CD-Laufwerk der Rechtsanwältin fast zu Bruch ging, als ihr dieses aus der Hand fiel. Die Gerichtssekretärin hatte tatsächlich heute fast nichts zu tun (außer Fenster öffnen und schließen). Was für eine Verschwendung von Zeit und Qualifikation, hätte sie sich doch ihre Zeit damit vertreiben können, das angeblich nicht leserliche Werk von Reiner abzutippen.

Auf der rechten Seite fanden sich noch zwei weitere Plätze, wo die sogenannten Adhäsionskläger Frank Großenbach und Antonia Fischer sitzen sollten. Ersterer holte während großer Teile der Pausen seinen offensichtlich verpassten Nachtschlaf nach und wenn er halbwach war, dann war auch er mehr dem Handy als der Verhandlung zugetan. Antonia Fischer glänzte durch Abwesenheit.

Der Grund unserer Fahrt nach Göttingen war vorrangig der, Solidarität und Anteilnahme zu zeigen zu dem Menschen, dem wir alle so viel zu verdanken haben, der seinen Mund nie gehalten hat und der stets durch brillante Analysen verbal auf den Punkt bringt, was sich andere nicht einmal trauen würden, zu denken. Es war ein sehr bedrückendes Gefühl, als er aus den Gerichtskatakomben das erste Mal an diesem Mittwoch mit Handschellen nach oben gebracht wird. Man sieht sofort, dass das letzte Jahr nicht spurlos an ihm vorbei gegangen ist. Die Besucher stehen immer wieder aus ehrlichem Respekt auf und ich möchte eigentlich applaudieren, wenn er in den Gerichtssaal geführt wird (die Szene ereignet sich an diesem Tag wiederholt). Von einer erfahrenen Prozessbeobachterin erfahre ich, dass das bereits früher verboten worden sein soll und mit Verlust der Option als Zuschauer dabei zu sein bestraft werden würde oder zumindest damit gedroht worden sein soll. Ich kann mich nicht erinnern, dass das Publikum beim Eintritt des Richters in den Saal geschlossen aufgestanden ist. So viel zum Thema Respektsperson.

Kein Prozessbeobachter kann heute sagen, was eigentlich in den insgesamt elf Anträgen, die heute eingebracht worden sind, stand. Inhaltlich ist es mir also nicht möglich, irgendetwas zu sagen.

Das Urteil scheint aber bereits gefällt. So hat ja die Staatsanwaltschaft wohl schon drei Jahre und neun Monate Haft beantragt und wohl ein kurzes Plädoyer vor ein paar Tagen gehalten, obwohl die Verteidigung noch nicht einmal alle Zeugen geladen hatte, das Plädoyer soll wohl inhaltlich sehr dürftig gewesen sein. Aber nichts Genaues weiß man nicht, wenn man nicht zufällig dabei war. Ganz am Ende des heutigen Tages soll RAin Wörmer noch schnell ihr Schlussplädoyer halten, worauf sie aber nicht vorbereitet war, denn immerhin waren heute vier präsente Zeugen geladen und anwesend (inklusive Viviane Fischer, wie wir in der Mittagspause erfuhren). Aber anstatt die Zeugen zu hören, entschied der Richter, dass er keine Zeugen heute einlassen möchte. Man wisse ja bereits, wie das Gericht ticke und man könne ja Widerspruch gegen das Urteil beim Bundesgerichtshof einlegen! RAin Wörmer legte folgerichtig einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer ein, diesen muss sie nun bis Montag, 11 Uhr mit Begründung bei Gericht eingereicht haben. Entscheidet eigentlich der selbe Richter, dem Befangenheit vorgeworfen wird über ebendiesen Antrag?

Es ist nicht das erste Mal, dass ich einem Prozess als Beobachterin desselben beiwohne. In keinem Prozess in den letzten zwei Jahren handelte es sich um RECHTsprechung. Das ist die bittere Erkenntnis und mein Respekt gegenüber der Justiz im Allgemeinen in Anbetracht der hier und anderswo gemachten Erfahrungen auf dem Nullpunkt.

Die drängendsten Fragen, die ich mir in diesem Prozess stelle, sind:

  • Wer ist eigentlich der Geschädigte?
  • Was sagt denn der oder die Geschädigte selbst? Wurde er/sie bereits gehört?
  • Oder gibt es vielleicht gar keinen Geschädigten?
  • Interessiert sich das Gericht dafür, ob es einen Geschädigten gibt oder ist es ihm egal, wenn es vielleicht gar keinen Geschädigten gibt?
  • Welche Rolle spielt der Hafenanwalt Marcel Templin, auf dessen Konto wohl mehr als eine Million Euro liegen sollen, um die hier gestritten wird und zu der am wenigsten der seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzende Reiner Fuellmich Zugriff hat?
  • Warum wurde Marcel Templin bisher nicht geladen?
  • Wieso befinden wir uns hier in einem Strafprozess?
  • Wie werden andere finanzielle Streitigkeiten in ähnlicher Höhe vor Gericht ausgetragen?
  • Ist es üblich, Menschen, die zuvor nichts verbrochen haben, wie Schwerverbrecher oder Mörder zu behandeln?
  • Ist eine so lange Untersuchungshaft überhaupt rechtens?
  • Was wird Reiner Fuellmich überhaupt vorgeworfen und was hat sich im Laufe der Verhandlung bisher in Luft aufgelöst?
  • Oder ganz einfach: Wer hatte mit wem einen gültigen Vertrag?

Der heutige Prozesstag hat kein Licht ins Dunkel und auch nicht die erhoffte Freilassung gebracht. Ich bin trotzdem froh, hier gewesen zu sein und meine Solidarität zu Reiner Fuellmich gezeigt zu haben

Es ist bedrückend, ihn anschließend im schwarzen Transporter mit Polizeieskorte zum Hochsicherheitsknast Rosdorf fahren zu sehen. Für die meisten Menschen ist im letzten Jahr alles weiter gelaufen im Business as usual – nicht aber für Reiner Fuellmich. Dessen Uhren sind vor einem Jahr stehen geblieben. Das bedrückt mich. Das ist ungerecht. Und das ist einfach falsch.

Reiner Fuellmich 2022 *

Um 15 Uhr ist der Prozess zu Ende und wir haben noch zwei Stunden, bis der Zug nach Berlin abfährt.

Vor der Gerichtstür stehen die Prozessbeobachter und plaudern. Eine junge Journalistin namens Claudia Jaworski, die mir schon ein paar Mal durch sehr gute Prozessvideos aufgefallen war, will noch ein paar Fragen an Viviane Fischer stellen, die hierfür einwilligt.

Aus ein paar Fragen werden weitere anderthalb Stunden und wir stehen gebannt in erster Reihe und hören der Frau zu, die Reiner aus dem Corona-Ausschuss geworfen hat und die sicher keinen Fanclub hier in Göttingen hat.

Ich gebe zu, dass ich auch schon von Anfang an dem Team Reiner mehr als dem Team Viviane zugeneigt war. Trotzdem muss ich ohne Umschweife anerkennen, dass sie extrem sortiert und fokussiert ihre Sicht auf die Dinge erklären konnte und dass es ihr ganz sicher ehrlich leid tut, was Reiner gerade passiert. Es waren anderthalb Stunden, die viel mehr Inhalt hatten, als die Verhandlungen im Gericht. Die Staatsanwaltschaft stand während des Interviews mit langen Ohren am geöffneten Fenster oberhalb des Besuchereinganges und lauschte fleißig zu. Geklärt werden muss unbedingt die Rolle der Hafenanwälte, die dem Corona-Ausschuss ja mal am Anfang partiell angehörten, aber die keinerlei Anteil an der Arbeit des Ausschusses leisteten. Da ist man sich einig. Und dass man zusammen sprechen muss. Nur schade, dass genau das ja der Anfang vom Ende des Corona-Ausschusses in der gemeinsamen Version war. Dass man eben nicht an einem Tisch gesessen hat, sondern die eine dem anderen die Tür zugeschlagen hatte. Auch wenn die Argumente von derjenigen heute auch irgendwie logisch klangen. Vielleicht ist es aber hier wie überall. U-Boote schleichen sich überall ein. Und machen alles kaputt. Das gilt für Parteien und größere Gruppierungen und das gilt vielleicht auch für den Ausschuss. Die Rolle der Hafenanwälte hinterlässt für den in die Streitmaterie eingedachten Beobachter ein Geschmäckle. So höre ich das zumindest von etlichen Seiten. Ich maße mir nicht an, zu sagen, dass ich eingedacht bin. Ich bin heute eigentlich eher sprachlos. Oder anders: mir hat das alles die Sprache verschlagen. Ich muss das alles erst mal aufschreiben, verarbeiten und ganz sicher noch mal wieder kommen.

(Text und Fotos: Dagmar Schoeler)


*) Foto: ©scottiberlin