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Apothekenstreik

Agonie einer Branche oder Jammern auf hohem Niveau?

Am Mittwoch, dem 13. Juni, streikten bundesweit Apotheken. Bei manch einem dürften Fragezeichen im Kopf aufleuchten. Hatten die Apotheken nicht unlängst den großen Reibach mit Pandemieutensilien gemacht? Allein für die 2020 an sogenannte Risikogruppen verschenkten FFP2-Masken bekamen die Läden laut SPIEGEL 6,-€ (in Worten sechs!) vergütet. Bei 81 Millionen Masken macht das fast 250Mio Euro. Nicht zu reden von Test-Kits, Desinfektionsmitteln und OP-Masken, die zum freien Verkauf angeboten wurden, oft doppelt so teuer, wie beim Drogerie-Markt um die Ecke. Zudem hatten etliche Apotheken Test- und sogar Impfstationen in ihren Räumlichkeiten eingerichtet.
Es gehört zu den Gepflogenheiten des Kapitalismus, dass dergleichen Extraprofite nie bei den Beschäftigten ankommen. Die bislang letzte Erhöhung des Apothekenhonorars war 2013 und liegt inzwischen zehn Jahre zurück, so die ABDA, Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e.V..
Was sich in den Medien als Aneinanderreihung trockener, schwer verständlicher Sachverhalte darstellt, ist für mittelständische Unternehmer der Branche und vor allem für deren Angestellte die alltägliche Hölle.

Es folgt der Standpunkt einer Betroffenen, beschäftigt im Ostteil der Stadt. Zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte bleibt die Verfasserin anonym.

Ungeachtet der letzten 3 Jahre „Pandemie-Zeit“, war meine Intention, an der Demo teilzunehmen, die nicht mehr zu bewältigende Bürokratieflut, die nicht enden wollenden Vorschriften und Regeln, die Nullretaxationen von erbrachten Leistungen (!), die hausgemachten Lieferengpässe und Versorgungslücken mit dem daraus folgenden, nervenaufreibenden Mehraufwand an Kosten, Zeit und Energie, die das Zwischenmenschliche dem kranken Patienten gegenüber in den Hintergrund rückt.

Ich bin auch symbolisch gegangen für den betroffenen Mittelstand, dem es wissentlich oft ähnlich geht und den es im Allgemeinen trifft.

Meine Motivation war außerdem die Freude über die breitere Erkenntnis in diesem Berufszweig, dass unsere Ampel vielleicht doch nicht tut, was sie vorgibt zu sein. Es hat sich „noch nicht ganz herumgesprochen“, dass sie an dieser Stelle offenbar versagt. Ich konnte manches nicht gutheißen. Die beklatschten Argumente gerade bezüglich der letzten drei Jahre hinterlassen einen sehr bitteren Beigeschmack. Auch unsere Apotheke hat sich beteiligt an Masken, Tests und der Spritze. Die Zeit war emotional sehr hart und meine Angst, den Job wegen „Unsolidarität“ zu verlieren, enorm. Die Menschen waren verunsichert, benötigten aufgrund vieler Ängste unheimlich viel Beratung. Ich habe bis zur maximalen Erschöpfung gearbeitet und alles gegeben, konnte nachts nur schlecht schlafen, mich im Urlaub kaum erholen, so dass ich befürchtete, ernsthaft zu erkranken.

Ich bin nicht für mehr Geld auf die Straße gegangen, muss aber mit meinem Lohn auch keine vierköpfige Familie ernähren und lebe bescheiden. Die zum Himmel schreiende Unsinnigkeit von Verwaltungsaufwand, Aberkennung von Zertifikaten (warum auch immer diese ein Verfallsdatum besitzen), die sich ständig ändernden Gesetze und Vorschriften, zudem neue Papiere, die in regelmäßigem Abstand teuer erworben werden müssen, kennen sicherlich auch andere Berufsgruppen. Es wurde Zeit, diese Missstände öffentlich aussprechen zu können. Es ist vielen nicht bewusst, welche Gelder wofür im Hintergrund gestemmt werden müssen. Darüber wird nicht berichtet. Das Apothekensterben wird weitergehen wie alles andere auch. Es wurde zu lange weggeschaut.

Es gibt 97 gesetzliche „lebensnotwendige“ Krankenkassen mit ihren ganz unterschiedlichen Regeln. Was für ein Irrsinn.

Darüber hinaus sehe ich ein, dass auch Apotheken von Grund auf neu und anders strukturiert werden sollten. Es gab rosige Zeiten für Apotheken, die längst Geschichte sind.

Ärztliche Verschreibungen unproblematisch abzuwickeln und Medikamente zeitnah zu beliefern, ist oftmals mit erheblichen Hürden verbunden. Das dürfte inzwischen jedem durch die Medien bekannt sein. Eine Individualrezeptur anzufertigen, war einst ein geliebtes Handwerk. Inzwischen schreckt man vor dem Mammut an Bürokratie zurück. Nicht selten müssen Patienten wochenlang darauf warten, wenn bspw. Personalmangel ist oder die chemischen Grundlagen dafür einfach nicht zu erhalten sind. Die Substanzen werden eingekauft und mit sehr teuren Reagenzien und Materialien oder, was schneller geht, mit noch viel teureren Geräten (allein ein IR-Spektroskop kostet einige tausend Euro) auf Identität überprüft. Die zahlreichen Laborgeräte bekommen regelmäßig den TÜV bzw. müssen geeicht werden. Das erzeugt erhebliche Folgekosten.

Manchmal brauchen wir nur Spuren einer Substanz. Der Rest verfällt und muss entsprechend entsorgt werden. Finanziell entspricht ein Labor in einer Apotheke viel mehr als einem bloßen Hobbyraum. Kein Labor, keine Apotheke.

Das alles zeitlich in den Arbeitsfluss einzubauen, ist logistisch eine Herausforderung. Jeder Schritt wird dokumentiert (Prüf-, Sicherheits-, Lagerungs- und Hygienevorschriften), die Substanz anschließend entsprechend aufwendig gekennzeichnet für weitere Dokumentationen, die eine Anfertigung nach sich zieht. Die Herstellung selbst ist relativ schnell erledigt, wenn alles plausibel ist. Dafür gibt es die Plausibilitätsprüfung oder entsprechende, jährlich zu aktualisierende Fachliteratur. Passen alle Stoffe zusammen? Muss eventuell gepuffert (ph-Wert-Anpassung) oder die Grundlage ausgetauscht werden? Bei Unstimmigkeiten wird wieder der Arzt kontaktiert. Immer alles schön dokumentieren! Die dazugehörigen weiteren Protokolle sind die Herstellungsanweisung und ein Herstellungsprotokoll. Das Etikett auf dem Gefäß darf keine Fragen offen lassen, um es kurz auszudrücken. Vor ein paar Jahren habe ich diese zusätzlichen Aufgaben gelegentlich abends mit nach Hause genommen und in meiner Freizeit (ohne Ausgleich) aufgearbeitet. Dazu kommt die unausgereifte und umständliche Digitalisierung (mit Übersendung bestimmter Daten). Die Digitalisierung dient nicht unserer Sicherheit, sondern unserer Gesundheit. Klar.

Wenn wir es in unserem Verwaltungsland mit dem Aufgabenpensum nicht mehr schaffen können, den Leuten, die sich uns anvertrauen, Gehör zu schenken und – das ist mein Anspruch – ursächlich, also nicht nur symptomatisch, zu helfen, dann haben wir als Teil des Gesundheitswesens verständlicherweise das Ziel verfehlt. Kommt uns das nicht allen irgendwie bekannt vor? Wie oberflächlich sind oder werden wir als Gesellschaft? Was denken sich die aus unseren Steuern finanzierten Herren und Damen Politiker, wie ein neuneinhalbstündiger Arbeitstag in der Apotheke aussieht, wenn man abends zu nichts anderem mehr zu gebrauchen ist, nur noch seine Ruhe haben will?

Ihren Beruf haben viele Apotheker und Pharmazeutisch Technische Assistenten aus Leidenschaft gewählt. Unbefriedigend ist es, den Menschen nicht mehr ausreichend gerecht werden zu können, immer mehr Hürden überwinden zu müssen.

Die Darstellung in den Medien ist absolut einseitig. Junge Apotheker schrecken vor der Selbständigkeit zurück. Das gab es bisher noch nicht. Wohin man schaut, sieht man dieses Schauspiel auch in anderen Berufszweigen. Das sollte doch jeden fragend zurücklassen.


(Anonym, Einleitung: Scotti)

Fotos: ©scottiberlin